Konstanze Caysa
Jonathan Meese – Superstar? Eindrücke einer Begegnung
Wer kennt ihn nicht mit seinem eisernen Kreuz, seinem provokanten Hitler-Gruß? Er, der die Diktatur der Kunst verkündet, spielt mit Metaphern, die von der Diktatur des Soldaten bis zur Diktatur des Arbeiters reichen. Er fordert: „Steh stramm!“ und betrachtet sich selbst als „Ameise der Kunst“, als Diener der Kunst. Was interessiert Jonathan? Was will er von und mit der Kunst? Es interessiert ihn die Macht, die volle und notwendige Ausschöpfung von Möglichkeiten, um der Kunst als Künstler zu dienen. Er sieht die Kunst als eine Art Kunst an sich, eine höhere Macht, die der Mensch so nicht haben kann, sonde
rn der er dienen muss.
Im August des Jahres 2009 war Jonathan Meese zu Gast bei dem Internationalen Nietzsche-Kongress „Nietzsche – Macht – Größe“ in Naumburg an der Saale. Er hatte sowohl für die „große“ Kunstausstellung im Alten Schlachthof zu Naumburg eigens dafür einen Film gedreht mit dem Titel „Saaldrüse Nietzsche-Baby“, wie er auch im Naumburghaus auf dem Podium mit Philosophen1 und dem Dichter Durs Grünbein über die Kunst „diskutierte“. Er stellte seine Thesen vor und ließ sich kaum unterbrechen. Es war ein sehr beeindruckender Auftritt, was allerdings einige Gäste und auch den Nietzsche-Vorstand nicht so sehr erfreute. Viele verließen den Saal.
Schon im Vorfeld des Kongresses „Nietzsche – Macht – Größe“ gab es bei der Organisation von Räumlichkeiten für Jonathan Meeses Ausstellungswerk Streitigkeiten. Wir hatten schon alle Räume im Naumburger Dom besichtigt und ausgemessen, denn eigentlich sollte die gesamte Ausstellung dort stattfinden und wir hatten bereits eine Zusage von einem Domkustos für einen Auftritt von Jonathan Meese. Dann aber kam wohl von höherer Stelle eine Absage. Meeses Kunst schien ihnen zu avantgardistisch und zu antichristlich zu sein. Deshalb sind wir in den Alten Schlachthof mit unserer Ausstellung umgezogen, der sich aber als sehr ebenbürtiger Raum für unser Vorhaben erwies.
Die Diskussion um das Kommen von Jonathan Meese polarisierte nicht nur die Stadt, sondern auch die Nietzsche-Gesellschaft. Opportunisten, die, wenn alles gut und erfolgreich über die Bühne gegangen ist, gern auch im Nachhinein Beifall klatschen würden. Später würden sie dann sagen: Ja, wir hatten den Meese!
Jonathan Meese, ein Skandalmensch, der nun nicht mehr missverstanden werden will, der mit uns bei unserem Interview in seinem Atelier über seine Philosophie spricht und nicht nur mit Parolen um sich wirft. Er hört uns wirklich zu und antwortet auf unsere Fragen, lässt sich auf uns ein!
Videoproduktion: WIEL Kameramann Leipzig
Ausgestattet mit 3 Kameras und diverser anderer Technik machten wir (Robert Beske, Volker Caysa, Konstanze Schwarzwald und Hagen Wiel) uns am Morgen des 7. 12.2012 gespannt auf den Weg nach Berlin, um ein Interview mit Jonathan Meese in seinem Atelier zu führen. Wir hatten uns gut vorbereitet auf dieses Treffen und waren auf ein Experiment, ein Spiel mit ihm gefasst. Der Meese-Virus hatte uns schon am Abend zuvor, als wir noch lange in Potsdam zusammengesessen hatten und alles besprachen, ergriffen und unser Anspruch war es, wirklich mit ihm ins Gespräch zu kommen und nicht in die Situation zu geraten, ihm lediglich Stichworte hinzuwerfen, auf die er dann performanceartig monologisch antworten könnte. Wir waren auf dem Weg, ein Geschwisterhirn, einen empraktischen Geschwisterleib zu treffen.
Ca. 13.30 Uhr sind wir mit dem Auto in der Erich-Weinert-Straße, seinem Atelier angekommen. Zunächst gingen nur Hagen und Robert hinein – es wurde ihnen von einer Mitarbeiterin Meeses das Tor geöffnet, um die drei Kameras aufzubauen. Anschließend, ca. 13.50Uhr, betraten wir (V.C. und K.S.) das meesianische Atelier, seinen Saal, seinen Bunker der Kunst und am liebsten, das verriet er uns dann später, hätte er einen wirklichen Bunker – eine Etage tiefer im Keller – aber dort sei es – so Meese – leider zu feucht für die Bilder. Das Atelier in der Erich-Weinert-Str. 131 liegt in einem wunderschönen, beeindruckenden ehemaligen Industriegelände mit roten Backsteingebäuden, hohen Sälen, großen Fenstern. Das gesamte Atelier war mit Malereien von Meese bestückt, ca. 1,50m mal 3,00m groß, die uns als Ausdruck exzentrischer und vor allem schneller präziser Arbeit angingen. Diese Bilder sind phonastische leibende Bilder – das vermittelte jeder einzelne Pinselstrich.
Fast Punkt 14Uhr betritt Jonathan den Raum und kommt lieb freundlich lächelnd auf uns zu. Er freut sich auf unser Gespräch und liebt es sichtlich sich vor der Kamera zu präsentieren. Nach einer kleinen Kennenlern- bzw. Aufwärmunterhaltung geht das Gespräch fließend zu dem Interview über. Wir sitzen mitten im Saal. Jonathan thront in der Mitte auf einem anscheinend alten Zahnarztpraxisstuhl.
Jonathan ist sehr offen. Er hört uns wirklich zu und antwortet, lässt sich auf uns ein! Das wollten wir erreichen: Uns mit ihm künstlerphilosophisch zu unterhalten. Seine Echtheit, sein eigentliches notwendiges Lebtum zu erfahren. Er war bei und mit uns viel mehr Künstler als bei diesen ganzen performativen Akten, die er sonst so vor großem Publikum gestaltet. Es war mehr als alles, was man auf youtube.de ansehen kann, denn er hat sich uns geöffnet.
So spricht Meese von sich selbst bekanntlich als „Ameise der Kunst“. Und trotzdem hat er einen fast untopbaren Anspruch an sich selbst – als Künstler: genial und originell zu sein. Aber was bedeutet das? Er spricht völlig zu Recht von Demut – wir haben es mit notwendiger Hingabe an die Kunst übersetzt. Es bedeutet aber auch, dass Genie in seiner Hingabe und damit auch immer ein Stück in seinem Scheitern an seinem eigenen großen Anspruch, immer mit einem unübersetzbaren Leiden, mit extremster Art Schmerzen nicht nur aushalten, sondern bestenfalls bejahen zu können, verbunden ist. Das aufrichtige „echte“ authentische Mit-Leiden an der unmittelbaren Leiblichkeit, die zum Diener der Kunst erzogen werden muss. So spricht er auch davon, dass es für den Künstler als Individuum keine Freiheit jemals geben kann, denn auch der Künstler ist ein Mensch, hat einen Körper, muss essen, trinken, aufs Klo gehen, ist abhängig von seinem eigenen Stoffwechsel(Metabolismus). Wie sollte er dann frei sein können? Die Kunst dagegen ist frei und der Künstler kann von ihrer Freiheit partizipieren, wenn er die notwendige Hingabe hat, die sich für die Kunst in seiner strengen und lustvollen Arbeit ausdrückt. Wer sich überreden muss zu malen, zu schreiben, künstlerisch zu arbeiten, der soll es – so Meese – unbedingt und sofort lassen. Zum künstlerischen Schaffen muss man sich nicht überreden. Das Schaffen des Künstlers muss erfolgen als großer Rausch, getrieben von seiner großen Sehnsucht, die aufs Ganze, aufs Leben geht. So allein ist er würdiger Diener der Kunst.
Die Nähe, die wir in diesem Gespräch mit Jonathan erfahren haben, war in der Vorbereitung auf dieses Gespräch unplanbar. Aber es sind gegenseitige Funken übergesprungen, künstlerphilosophische, die man wohl im Leben sehr selten mit anderen erfährt. Die Begegnung war ein Ereignis…
„Steht stramm!“ – Das ist einer von Jonathan Meeses Lieblingsaufrufen an die Massenkünstler, welche laut ihm erkennen müssen, dass jegliche Form von Demokratie und Parteienpolitik für immer gescheitert ist. An die Stelle der Parteienpolitik muss eine Große Politik treten – die Diktatur der Kunst. Das allerschönste für Jonathan wäre es, wenn seine Mutter, die mittlerweile schon über achtzig Jahre alt ist, diese Machtergreifung der Kunst noch miterleben dürfte. Dass es aber eines Tages dazu kommen wird, davon ist er fest überzeugt. Das ist für ihn gar keine Frage. Notwendig für dieses Ereignis aber ist, dass die Menschen und vor allem die Künstler lernen trotz des existenziellen Schmerzes, der damit verbunden ist, der Kunst würdiger Diener zu werden, demütig, aufrichtig, lieb.
Somit stellt sich aber die Frage wie in anbetracht dieser „Göttlichkeit“ der Kunst, dieser von Meese propagierten Kunst „an sich“ es eine Genialität des Einzelnen geben kann. Oder wie es möglich ist, dass es Originalität geben kann? Wahrscheinlich würde er den Originalitätsgedanken wegen der „An-sich-Autorität“ der Kunst verneinen. Vielleicht sollte diese Frage aber erst einmal noch offen bleiben …
Nach diesem zweistündigen Interview unterhielten wir uns noch mindestens eine halbe Stunde mit Meese. Er war – wie wir – euphorisiert von unserem Gespräch und klar war für uns alle, dass es weitere gemeinsame Projekte geben soll.
Auch Meeses engste Mitarbeiterin, Doris Mampe, kam mit einem freundlichen offenen Lächeln ziemlich genau 16Uhr zu uns in den Saal, was wir als Kompliment auffassten, denn sie schützt Jonathan stets vor allem, was ihn aufgrund seiner Intensität überfordern könnte.
Jonathan erscheint oft wie ein großes Kind, wie ein aus sich rollendes Rad und er braucht diesen Schutz. Früher wohl eher von seiner Mutter her. Jetzt durch Doris Mampe.
Klar geworden ist uns durch das Gespräch auch wieder, dass Zukunft das Auf-uns-Zukommende ist. Das Unplanbare, das Ereignis, das Andere, Geniale, das uns künstlerphilosophisch-Angehende.
Das längst hinter uns Liegende und uns doch immer noch Bewegende, das unsere Erinnerung maßgeblich unter den Druck setzt, sich nicht auf Zu-Künftiges, sondern Vergangenes zu konzentrieren, ist maßgeblich gerade bei den Deutschen Adolf Hitler, welcher in seinem Buch „Mein Kampf“ ein ausschlaggebendes Kapitel formuliert hat zum Thema der Propaganda. Hitler war gut – aber als Schauspieler. Er brauchte seinen Applaus. Er gehörte eigentlich auf die Bühne. Man hätte ihn spielen lassen müssen – so Meese. Aber doch nicht in der Realität! Meese spielt auch – aber im Kontext seiner Kunst. Führertum scheint ihm prinzipiell verdächtig zu sein.
Kunst, das Künstlerische, geht durch uns hindurch, durch unsere schreienden, phonastischen Leiber drückt sie sich aus. Sie will als Notwendigkeit etwas Notwendiges von uns. Sie macht uns zu ihrem Medium. Deshalb müssen wir ihr dienen – als Philosophen, als Künstler. Kunst ist Philosophie und Philosophie ist Kunst! Wenn Meese „Ameise der Kunst“ ist, dann sind wir Soldaten der Philosophie! Die Künstler, die Philosophie – die Metatropie durchfährt uns in ihrer Unbedingtheit und wir können nicht anders, als ihr zu dienen und so selbst Metatropiker expraktisch aus unseren phonastischen Leibern heraus zu werden.
Hölderlin: „Komm ins Offene, Freund“ ist in der meesianischen Metaphorik vielleicht zu übersetzen mit dem wurzeltiefen „ERZ-“Gedanken und seiner Metapher des Saales, des möglichen Bunkers der „Diktatur der Kunst“, als Raum, als Eigenwelt, als Metatropie in dem wir uns wahrhaft hingeben können und der uns schützt, um der Kunst näher zu kommen.
1 Auf dem Podium saßen Jonathan Meese, Volker Caysa, Konstanze Schwarzwald, Udo Tietz und Durs Grünbein.
Danke für dieses Gespräch. Ich versuche ab und an mich in den Herrn Meese einzudenken, bisher erfolglos. Dies hier kommt dem schon näher. Mir gefällt er, auch wenn ich keine Ahnung von Kunst habe oder was er damit auch immer meint.
Danke für deinen Kommentar. Leider haben wir das erst jetzt freigeschaltet!