Humboldts Bildungsideal und die Wirklichkeit der deutschen Universität
Wilhelm von Humboldts Ideen zur Reformation der deutschen Universitäten zielten auf ein Bildungsideal: Die Universität ist keine Erziehungsanstalt! Sie hat nicht nur bloßes Faktenwissen zu vermitteln, wie es heute üblich ist.- so war jedenfalls seine Auffassung.
Bildung bedeutet, dass es auch selbstzweckhaftes Wissen gibt, das nicht unbedingt dem beruflichen Erfolg verpflichtet ist, was Aufgabe der Erziehung ist. Erziehung ist ein Antrainierprogramm. Bildung dagegen bedeutet nach Humboldt selbstzweckhaftes, lebenspraktisches Wissen, das unmittelbar überhaupt nichts nützt, das auf „mitdenkende Köpfe“ zielt und in der er die Trennung der Fakultäten, die er in „der echt wissenschaftlichen Bildung“ für schädlich hielt, aufhebt.
Der Bologna-Prozess hat trotz seiner guten Absichten keinen Bildungs-, sondern einen Erziehungsprozess eingeleitet. Oder um es polemisch zu sagen: Bildung ist, wenn man trotzdem denkt!
Für Humboldt war Bildung nicht einfach mit Nationalerziehung verbunden, sondern mit Aufklärung und Zweck seines Bildungsideals war nicht einfach die Vermittlung von nutzenorientiertem Wissen, sondern von Wissenschaft, die sich in der Tradition der Philosophie sieht und Philosophie ist eben nicht einfach Liebe zur Wissenschaft, sondern Liebe zur Weisheit. Das heißt Bildung ist mit einem Wissensideal verbunden, das weit über die Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen hinausgeht. Darum schreibt er, dass eine zukünftige Universität jede Einseitigkeit aus den höheren wissenschaftlichen Anstalten verbannen muss. Darum spricht er von einer Einheit von Kunst und Philosophie. Darum schreibt er: „Der Begriff der höheren wissenschaftlichen Anstalten als des Gipfels in dem alles, was unmittelbar für die moralische Kultur der Nation geschieht, zusammenkommt, beruht darauf, daß dieselben bestimmt sind, die Wissenschaft im tiefsten und weitesten Sinne des Wortes zu bearbeiten und als einen nicht absichtlich, aber von selbst zweckmäßig vorbereiteten Stoff der geistigen und sittlichen Bildung zu seiner Benutzung hinzugeben. Ihr Wesen besteht daher darin, innerlich die objektive Wissenschaft mit der subjektiven Bildung, äußerlich den vollendeten Schulunterricht mit dem beginnenden Studium unter eigener Leitung zu verknüpfen oder vielmehr den Übergang von dem einen zum anderen zu bewirken.“ (Humboldt, In: Gelegentliche Gedanken über Universitäten, S. 273)
Dahinter steckt das antike Ideal von Wissenschaft und zwar nicht nur die Einheit von Lehre und Forschung, sondern auch die von Wissenschaft und Weisheit.
Humboldts Bildungsideal, das eindeutig mit Wissenschaft verbunden war, liegt aber eine ganz andere Theorie der Wissensformen zugrunde, als wir sie kennen. Wissen ist nicht nur wissenschaftliches Wissen. Bildung beweist man dadurch, dass man weiß, dass man nichts weiß. Das ist gut klassisch gedacht.